Ampel-Koalitionsvertrag steht - Parteien müssen zustimmen

Ampel-Koalitionsvertrag steht - Parteien müssen zustimmen

Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Robert Habeck stellen den gemeinsamen Koalitionsvertrag vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin (dpa) - Die wesentliche Hürde für die Bildung der ersten bundesweiten Ampel-Koalition ist genommen. Der Koalitionsvertrag ist ausgearbeitet. Doch werden ihn die drei Parteien SPD, Grüne und FDP absegnen? Nach der Einigung der Spitzen von SPD, Grünen und FDP auf einen Koalitionsvertrag zur Bildung der ersten bundesweiten Ampel-Koalition sind nun Mitglieder und Delegierte am Zuge. Die Grünen starten dazu bereits heute eine Urabstimmung.

Ihre 125 000 Mitglieder sollen nicht nur über die Vereinbarungen der potenziellen Regierungspartner abstimmen, sondern auch über das Personaltableau der Grünen für das künftige Kabinett. Die personelle Aufstellung soll zum Start der Urabstimmung bekanntgegeben werden. Bei SPD und FDP sollen Anfang Dezember Parteitage den Vertrag absegnen.

Kompromisse und Abstriche

Obwohl in den Koalitionsverhandlungen alle Parteien Abstriche von ihren Positionen machen und Kompromisse eingehen mussten, geht der designierte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) davon aus, dass der Vertrag von allen Parteien gebilligt werden wird. „Ich bin da sehr zuversichtlich. Es ist ein gutes Ergebnis aus der Sicht aller drei Parteien“, sagte er am Mittwochabend in einem ARD-„Brennpunkt“. Scholz stellte zudem in Aussicht, dass das künftige Kabinett zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besetzt sein wird. „Ich habe immer gesagt, dass es mir darum geht, dass die Parität auch im Kabinett gilt. Und ich halte mich an meine Worte.“

Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte. Deutschland steht vor einer politischen Zäsur.

Den Auftakt der Urabstimmung bei den Grünen bildet am Nachmittag (ab 16.00 Uhr) ein Bund-Länder-Forum in Berlin, bei dem die Ergebnisse diskutiert werden. Die Urabstimmung soll zehn Tage dauern und digital oder per Brief möglich sein. Für die Annahme des Koalitionsvertrags und die Zustimmung zum Personaltableau sei eine einfache Mehrheit notwendig. Ein Quorum gebe es nicht, hieß es. Interessant wird sein, ob die Mitglieder insbesondere die Vereinbarungen zum Klimaschutz als ausreichend erachten oder nicht.

SPD, Grüne und FDP hatten am Mittwoch die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag abgeschlossen. Zwei Monate nach der Bundestagswahl legten sie damit den Grundstein für die erste Ampel-Bundesregierung. „Die Ampel steht“, sagte Scholz in Berlin. „Uns eint der Wille, das Land besser zu machen“, betonte er. Es gehe nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, „sondern um eine Politik der großen Wirkung“, sagte Scholz. „Wir wollen mehr Fortschritt wagen.“

Als ein „Dokument des Mutes und der Zuversicht“ bezeichnete der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck den Koalitionsvertrag. „Das Leitbild dieser Regierung ist eine handelnde Gesellschaft, ein investierender Staat und ein Deutschland, das schlichtweg funktioniert.“ FDP-Chef Christian Lindner betonte: „Was jetzt gebildet wird, ist eine Regierung der Mitte, die das Land nach vorn führt.“

Mitpreisbremse und Mindestlohn

Im Koalitionsvertrag wurde unter anderem Folgendes festgeschrieben: Die Mietpreisbremse soll verlängert werden. In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt soll die Miete binnen drei Jahren nur noch bis zu 11 Prozent steigen dürfen statt wie bisher bis zu 15 Prozent. Stromkunden sollen entlastet werden, indem zum 1. Januar 2023 die EEG-Umlage abgeschafft wird. In der Finanzpolitik vereinbarten SPD, Grüne und FDP, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten.

Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen soll eine Bewaffnung von Drohnen ermöglicht werden. Die deutschen Rüstungsexporte sollen mit einem neuen Gesetz effektiver beschränkt werden. In der Asylpolitik wurde vereinbart, dass mehr Flüchtlinge künftig ihre Angehörigen zu sich nach Deutschland holen können.

Den gesetzlichen Mindestlohn wollen SPD, Grüne und FDP von jetzt 9,60 Euro auf 12 Euro pro Stunde erhöhen. Sie verständigten sich zudem auf die Bildung eines neuen Bundesministeriums für Bauen. Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz. Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Ampel-Parteien wollen den öffentlichen Nahverkehr stärken und dazu vom kommenden Jahr an die sogenannten milliardenschweren Regionalisierungsmittel erhöhen.

Auch über die Verteilung der Ressorts verständigten sich SPD, Grüne und FDP. Die SPD wird mit Olaf Scholz künftig den Kanzler stellen und das Innen- und Verteidigungsministerium, ein neu geschaffenes Bauministerium, und die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit übernehmen. Auch der Chef des Kanzleramts kommt von der SPD. An die Grünen gehen ein neu geschaffenes Wirtschafts- und Klimaministerium, das Außenministerium sowie die Ressorts Umwelt/Verbraucher, Agrar/Ernährung und Familie. Die FDP bekommt das Finanz-, Verkehrs-, Bildungs- und das Justizministerium.

Der FDP-Bundesvorstand benannte dafür Parteichef Lindner (Finanzen), Generalsekretär Volker Wissing (Verkehr), den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Marco Buschmann (Justiz) und die Parlamentarische Geschäftsführerin Bettina Stark-Watzinger (Bildung).

Der Bund der Steuerzahler begrüßte die Ankündigung, die Vorgaben der grundgesetzlichen Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten und Prioritäten im Bundeshaushalt zu setzen. Sein Präsident Reiner Holznagen sagte: „Das sind vielversprechende Ansätze, denen die Ampel in den nächsten vier Jahren gerecht werden muss. Bei wohlklingenden Überschriften darf es aber nicht bleiben.“ Holznagel vermisste allerdings ein klares Bekenntnis, dass die Verschwendung von Steuergeld konsequent verfolgt und bestraft werden solle.