Australien: Labor gewinnt die „Klimawahl“

Australien: Labor gewinnt die „Klimawahl“

Anthony Albanese spricht auf einer Veranstaltung der Labor Party in Sydney. Noch ist unsicher, ob er Australien alleine regieren kann oder eine Minderheitsregierung führen wird. Foto: Rick Rycroft/AP/dpa

Canberra (dpa) - Australien hat nach Jahren klimafeindlicher Politik die konservative Regierung von Premier Scott Morrison abgewählt und die Sozialdemokraten zurück an die Macht geholt. Medien in Down Under sprachen am Sonntag von einem „Blutbad“ für Morrisons Koalition.

Die Abstimmung sei zum Referendum über den ungeliebten und als „Bulldozer“ verschrienen Regierungschef geworden, schrieb der australische „Sunday Telegraph“. Alle Augen richten sich nun auf Morrisons designierten Nachfolger Anthony Albanese. Der 59-jährige Labor-Chef, der den Kampf gegen den Klimawandel zu einem zentralen Thema seiner Wahlkampagne gemacht hatte, soll schon am Montag vereidigt werden.

Allerdings steht auch der neue Premierminister, im Volksmund kurz „Albo“ genannt, nicht als überragender Sieger des Votums da: Beide großen Lager wurden von den rund 17 Millionen Wählern abgestraft. Stattdessen bekamen erstmals unabhängige Kandidaten - und speziell Kandidatinnen - sowie die australischen Grünen enormen Zulauf. Der Wandel im neuen Parlament werde von Frauen angeführt, kommentierten Medien. Offen ist noch, ob Albaneses Sozialdemokraten eine eigene Mehrheit im Unterhaus haben oder auf die Stimmen anderer Parteien angewiesen sein werden.

Während auf den neuen Premier große innen- und außenpolitische Herausforderungen warten, kehrten die „Aussies“ am Tag nach der Abstimmung zum Alltag zurück. Wahlen sind auf dem fünften Kontinent eine eher leise Veranstaltung - und gäbe es keine Wahlpflicht, so wäre der Zulauf angesichts der verbreiteten Politikverdrossenheit vermutlich gering.

Am Sonntagmorgen saßen viele Familien wie gewohnt bei Rührei mit Speck und Avocado-Toast in den Cafés, andere flanierten an Sydneys Circular Quay oder fuhren Riesenrad in Darling Harbour. Politische Diskussionen waren nirgends zu hören. Die Wählerschaft habe im Grunde von beiden großen Parteien die Nase voll, meinen Experten.

An der Ostküste stehen viele Menschen derzeit vor den Trümmern ihrer Existenz, nachdem es zuletzt in den Bundesstaaten Queensland und New South Wales zu Überschwemmungen beispiellosen Ausmaßes gekommen war. Auch am Wahltag gab es wieder Flutwarnungen für einige Regionen. Wenn es nicht regnet, machen Australien Dürren und Buschbrände zu schaffen. Das Naturwunder Great Barrier Reef leidet unter der vierten Korallenbleiche seit 2016 und eine Studie zog jüngst das alarmierende Fazit, dass sich die Baumsterblichkeit in australischen Regenwäldern seit den 1980er Jahren verdoppelt habe.

Dass angesichts dieser desaströsen Lage einige von Morrisons Parteifreunden den Klimawandel weiter leugnen, löst bei vielen Australiern wütendes Kopfschütteln aus. Ihre Hoffnung setzen sie nun auf Albanese und seine Wahlversprechen. Zur Erinnerung: Australien hat derzeit mit die höchsten CO2-Emissionen pro Kopf und ist einer der größten Kohleexporteure der Welt.

In seiner Siegesrede zeigte Albanese, wohin die Reise gehen könnte: „Gemeinsam können wir die Klimakriege beenden“, rief er seinen jubelnden Anhängern zu. „Gemeinsam können wir die Chance nutzen, Australien zu einer Supermacht für erneuerbare Energien zu machen.“ Massive Investitionen in „green energy“ hatte er schon im Wahlkampf versprochen. „Ja, aber wie will er das alles bezahlen?“, fragte der renommierte „Sydney Morning Herald“ am Sonntag. Denn Albanese habe von Morrison nicht nur ein großes Haushaltsdefizit, sondern auch eine massive Staatsverschuldung geerbt.

Hinzu kommen außenpolitische Gratwanderungen. So ist das Verhältnis zu China angespannt, seit Australien eine internationale Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus und zum Umgang Pekings mit dem Ausbruch forderte. Seither hat China Strafzölle auf australischen Wein und andere Exporte verhängt. Der Ton zwischen Morrison und Chinas Staatschef Xi Jinping war zuletzt - gelinde gesagt - rau. Um dem Machtstreben Chinas im Indopazifik entgegenzuwirken, schloss Australien im vergangenen Jahr mit den USA und Großbritannien den Sicherheitspakt Aukus. Das Abkommen sieht vor, dass Washington und London dem Partner beim Bau von Atom-U-Booten helfen sollen.

Politische Experten erwarten, dass Albanese gegenüber Peking eine weniger aggressive Richtung einschlagen wird - gleichzeitig aber das enge Verhältnis zu den USA nicht aufs Spiel setzen will. Welche Pläne Australiens neuer starker Mann im Gepäck hat, wird sich am Dienstag zeigen, wenn Albanese in Tokio mit US-Präsident Joe Biden und den Regierungschefs aus Japan und Indien am sogenannten Quad-Gipfel teilnimmt - mit China als einem der zentralen Gesprächspunkte.

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