Sorgen vor dem neuen Corona-Schuljahr

Sorgen vor dem neuen Corona-Schuljahr

In NRW starten am kommenden Mittwoch rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler. Foto: Jens Büttner/dpa

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Das vierte Schuljahr unter Pandemiebedingungen steht vor der Tür. Im ersten Bundesland, nämlich Nordrhein-Westfalen, beginnt nach den Sommerferien wieder der Unterricht - und damit kehren auch Sorgen vor einer neuen Ansteckungswelle und Zweifel an ausreichenden Schutzmaßnahmen in die Klassenzimmer zurück.

Wie sieht es an den Schulen aus - nach schon mehr als zweieinhalb Jahren kräftezehrendem Corona-Alltag in Deutschland?

In NRW ist die Stimmung zum Schulstart durchwachsen. Wenn am kommenden Mittwoch rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler wieder starten, fehle den Bundesländern „jegliche verbindliche und gesetzliche Regelung“ zum Schutz vor Corona, moniert der Präsident des Lehrerverbands NRW, Andreas Bartsch. Er zeigt auf den Bund. Da das neue Bundesinfektionsschutzgesetz erst zum 1. Oktober greifen werde, bleibe den Ländern vorerst nichts anderes übrig, als mit „bloßen Empfehlungen“ zu arbeiten. Auch bei der Impfung der Schülerschaft brauche es mehr Tempo, fordert Bartsch.

Bislang sind bundesweit 69,3 Prozent der 12-bis 17-Jährigen grundimmunisiert - haben also meist zwei Impfdosen erhalten (Stand 6. August 2022). Bei den 5-bis 11-Jährigen, für die die Impfkommission Stiko die Corona-Impfung erst seit Mai generell empfiehlt, sind es gerade einmal 20,1 Prozent. Luft nach oben gibt es also noch reichlich.

Immerhin sollen ab 9. September vier neue Impfstoffe zugelassen werden, die anders als die bisherigen auch gut vor einer Ansteckung mit dem Virus, also nicht nur vor schweren Verläufen, schützen sollen. Reicht das für ein entspanntes Schuljahr? In NRW und anderswo herrscht auch in diesem Jahr teils große Verunsicherung. Das von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) vor wenigen Tagen vorgestellte Schutzkonzept lässt den Ländern viel Ermessensspielraum.

Es schließt Schulschließungen aber kategorisch aus. Nur wenn der Präsenzunterricht auszufallen droht, ist eine Maskenpflicht im Unterricht vorgesehen - mit einfachen OP-Masken und auch erst ab Klasse fünf. Dass an Grundschulen „selbst im Falle drohender Personalausfälle und Schulteilschließungen keine Maskenpflicht angeordnet werden darf, ist uns völlig unverständlich“, kritisiert der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. Das Risiko von Schulschließungen werde faktisch in Kauf genommen. Argument des Bundesbildungsministeriums dagegen: Das dauerhafte Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes könne gerade für Kinder im Grundschulalter „belastend sein“. Die richtige Balance bleibt also auch im dritten Pandemiejahr ein Kraftakt.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW befürchtet die Schulleitungsvereinigung beträchtliche Unterrichtsausfälle, wenn sich Lehrerinnen und Lehrer auch in diesem Herbst und Winter reihenweise mit Corona anstecken. Maske würden nur 70 bis 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler freiwillig tragen, schätzt die Landesvorsitzende Antonietta Zeoli. Die Verunsicherung, in welchem Ausmaß die Pandemie weiter auf dem System Schule lasten werde, bleibe wohl noch lange bestehen.

Mehrere Organisationen, darunter der Verband für Bildung und Erziehung (VBE), warnen vor einem „Flickenteppich“, sollten die Länder auch in diesem Jahr unterschiedliche Vorstellungen bei der Umsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen haben. Es müsse einheitliche und klare Kriterien geben, dafür sollten sich die Länder abstimmen, lautet der dringende Appell - dem sich auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände angeschlossen hat.

Die amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), fordert einen nationalen Schulgipfel, um diese Abstimmung zu ermöglichen. Noch warteten die Länder allerdings auf eine Einladung von Gesundheitsminister Lauterbach, sagt sie.

Auch die Debatte um Luftfilter nimmt zum Schulstart wieder Fahrt auf. VBE-Bundeschef Udo Beckmann sieht große Versäumnisse in den Bundesländern, die flächendeckende Ausstattung mit Luftfiltern sei längst nicht erreicht. In NRW wird das ebenfalls beklagt. Es könne nicht beim Aufruf zum Lüften bleiben, kritisiert etwa Anke Staar von der Landeselternkonferenz. Den Schülern drohe sonst „Frieren wie im letzten Winter“. Die Gaskrise könne das Problem sogar verschärfen, da die Kommunen finanziell noch stärker belastet seien, warnt Staar.

Die Hausaufgabenliste bleibt lang. Immerhin zeigt sich die Bundesbildungsministerin zuversichtlich, dass es 2022/23 einen „normalen“ Schulalltag geben kann. Die Schülerinnen und Schüler hätten in der Pandemie die Hauptlast getragen. „Das nächste Schuljahr muss ein normales werden, zumindest so normal, wie es nur möglich ist. Dafür werde ich kämpfen“, verspricht Bettina Stark-Watzinger. Nicht nur im Schulstart-Land NRW wird man sie beim Wort nehmen.

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