Kultur

Buch über Hitlers Zauberer

Dienstag, 11. Mai 2021 - 16:50 Uhr

von Von Oliver Pietschmann, dpa

„Sein Talent als Zauberkünstler wurde nur noch von dem als Selbstdarsteller übertroffen“, schreibt Autor Malte Herwig in seinem Buch "Der grosse Kalanag: Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte" über den Magier Helmut Schreiber. Foto: Regg Media/Penguin Verlag/dpa

Darmstadt (dpa) - Seine Zauber-Revue war in der Nachkriegszeit ein Welterfolg. Doch Helmut Schreiber - alias Kalanag - hatte in Nazi-Deutschland direkte Kontakte zur NS-Führungsriege. Ein Buch erzählt seine Geschichte. Er war ohne Skrupel, verschlagen und erfolgreich. Der Mann mit den „wieselflinken Händen“ zauberte vor der Elite des NS-Regimes und wurde nach dessen Untergang ein Weltstar.

In seinem neuen, romanhaften Sachbuch „Der große Kalanag: Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte“ beschreibt Malte Herwig den Aufstieg des Zauberkünstlers und Filmproduzenten Helmut Schreiber. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich mit seinen Tricks die Sympathie der Nazi-Elite erzaubert und nach dem Untergang des NS-Regimes seine eigene Nazivergangenheit fast ohne Hindernisse wie einen Mantel auszieht und eine fulminante neue Karriere startet.

Es ist ein kurzweiliges Buch über Ehrgeiz, Machtwillen, Lüge, Intrige und Zauberei. Der Autor und Journalist Herwig versichert: „Ich habe mich bemüht, sein Leben aufgrund von Zeugenaussagen und Dokumenten so authentisch wie möglich zu erzählen.“ „Sein Talent als Zauberkünstler wurde nur noch von dem als Selbstdarsteller übertroffen“, schreibt Herwig.

Schreiber wusste schon als Kind, dass er Zauberkünstler werden wollte. Mit 13 Jahren trat er bereits das erste Mal öffentlich auf. Der Name „Kala Nag“ stammt aus dem Dschungelbuch, ist von einem Elefanten und bedeutet so viel wie schwarze Schlange. Zum Markennamen Schreibers sollte dieser erst nach 1945 werden. Erstmals so genannt wurde er bei einem Auftritt in einem Lazarett 1919. Dort habe ihn unter diesem Namen ein Plakat als „großen Zauberer“ angekündigt. Auf Nachfrage Schreibers habe ihm ein Feldwebel nur gesagt: „Wie Sie heißen, bestimmen wir.“

„Die Zauberkunst brachte er sich selbst bei, übte Stunde um Stunde vor dem Spiegel und war dabei strenger zu sich selbst als jeder andere es hätte sein können.“ 1919 sei er als jüngstes Mitglied in den Magischen Zirkel aufgenommen worden, einer Vereinigung von Zauberkünstlern. Schon Mitte der 20er Jahre sei er einer der eifrigsten Botschafter der Zauberkunst in Deutschland gewesen.

„Ein Jahrzehnt später würde es niemand mehr geben, der Schreiber offen Paroli bot, wenn er als allmächtiger Präsident des Magischen Zirkels Zauberkünstlern Auftrittserlaubnisse erteilte oder entzog, sie zur Truppenbetreuung an diese oder jene Front schickte und manchen sogar mit Ausschluss aus dem Magischen Zirkel drohte, was einem Berufsverbot im Deutschen Reich gleichkam.“

Der Aufstieg Schreibers zum „Entertainer der NS-Gesellschaft“ sei steinig aber unaufhaltsam gewesen. Er zauberte vor Hitler, Rüstungsminister Albert Speer, Hermann Göring, Joseph Goebbels. Er war zu Gast auf dem Obersalzberg und Duzfreund von Hitlers Chefadjutanten Julius Schaub. 1939 trat er in die NSDAP ein, sei aber viel zu geschickt gewesen es auf eine Parteikarriere anzulegen. „Wer konnte schon wissen, wann sich die Zeiten wieder ändern würden.“

„Solange die Sonne des Dritten Reiches schien, bräunte sich Schreiber im Glanz der NS-Kulturbürokratie. Ab 1945 war er weiß wie die Unschuld. Eine typisch deutsche Biografie, nur raffinierter als der Durchschnitt.“ Im Magischen Zirkel führte Schreiber Herwig zufolge das „Führerprinzip“ ein und vollzog die Arisierung. „Ob er mit der Gestapo drohte oder mit seinen guten Kontakten zum Führer, Helmut Schreiber spielte seine Machtfülle kaltblütig, kalkuliert und rücksichtslos aus.“

Mit dem Untergang Nazi-Deutschlands sollte auch Schreibers NS-Vergangenheit möglichst schnell vergessen werden. Parteimitglied: Nie!

Seine Geschichte sei die eines tapferen Widerständlers gewesen, der alles tat, um anderen Verfolgten zu helfen. „Ein typischer Deutscher - nur in der Raffinesse seiner Lügen war dieser Schreiber wirklich überdurchschnittlich begabt“, bilanziert Herwig. Und gegen alle Widerstände, Vorwürfe und Anschuldigungen gelang es ihm, eine neue Karriere zu starten.

„Wie es Kalanag gelungen war, bereits zwei Jahre nach Kriegsende eine riesige Revue aus dem Boden zu stampfen, stellte seine Zeitgenossen vor ein Rätsel. Böse Zungen vermuteten, er habe sich die enormen Kosten der Show aus einem Nazi-Schatz finanziert, den er 1945 beiseite schaffte.“

Kalanags Simsalabim-Revue habe in Bildern und Worten die Illusion der Stunde Null verkörpert. „Alles auf Anfang, nur nicht nach hinten schauen, auf mit Tempo in die Zukunft.“ Mitte der 50er Jahre sei er auf dem Gipfel seines Erfolgs gewesen. Seine Show sah Prominenz aus aller Welt.

Schreiber, der Herwig zufolge privat einen ausschweifenden Lebensstil pflegte, erlitt an Heiligabend 1963 seinen dritten Herzinfarkt und starb im Alter von 60 Jahren. Seine Sekretärin sagte über ihn: „Ich weiß nicht, ob der Mann überhaupt jemanden lieben konnte. Auf Dauer sicher nicht.“

Leserkommentare

Die Kommentarfunktionalität ist um diese Uhrzeit deaktiviert.