Donna Leons „Geheime Quellen“ - Brunetti fischt im Trüben

Von Von Frauke Kaberka, dpa
Donna Leons „Geheime Quellen“ - Brunetti fischt im Trüben

„Geheime Quellen“ von Donna Leon ist Commissario Brunettis 29. Fall. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Zürich (dpa) - Venedig stöhnt unter der Hitze und Commissario Brunetti unter der Last seines 29. Falls. „Geheime Quellen“ führt Donna Leons berühmten Polizisten in die Untiefen der venezianischen Wasserwirtschaft und der globalen Verschmutzung.

Es ist mal nicht das Acqua alta, das den Venezianern zu schaffen macht, sondern eine unbarmherzige Hitze. Brunetti schlägt sie aufs ohnehin eher melancholische Gemüt.

Der Commissario fühlt sich ausgelaugt und von den Touristenmassen so deprimiert, dass er Entspannung und Trost nicht - wie gewöhnlich - in griechischen Tragödien, sondern in deren Pendant sucht. Aber auch Aristophanes' „Lysistrata“ kann ihn nicht aufheitern. Schlimmer noch: Sein 29. Fall, von dem er noch nicht einmal weiß, ob es überhaupt ein Fall ist, zieht ihn ganz runter. Er und seine Kollegin Claudia Griffoni werden in ein Hospiz zu einer unheilbar krebskranken Frau gerufen. „Geheime Quellen“ heißt der neue Roman der in der Schweiz und immer noch zeitweise in Venedig lebende Amerikanerin Donna Leon.

Die Autorin hat ihren Krimihelden mal wieder vor ein nahezu unlösbares Problem gestellt, denn die sterbende Frau behauptet, der Unfalltod ihres Mannes Vittorio Fadalto einige Wochen zuvor sei Mord gewesen. Und von „schlechtem Geld“ spricht sie. Aber mehr nicht. Auch bei einem weiteren Besuch schafft die stark sedierte Benedetta Toso es kaum noch, dem etwas hinzuzufügen, bevor sie das Zeitliche segnet.

Brunetti und Griffoni sind sich beide nicht sicher, ob und was sie überhaupt untersuchen sollen, denn der Ehemann hatte nachweislich einen Motorradunfall und wurde samt Gefährt aus einem Kanal gezogen. Die Obduktion ergab: Tod durch Ertrinken.

Leser der 28 vorausgegangenen Brunetti-Romane wissen es längst: Noch der kleinste Hinweis auf ein Unrecht oder ein ungeklärtes Verbrechen lässt den Commissario nicht ruhen. Griffoni denkt ebenso wie ihr Kollege, obwohl beiden klar ist, dass sie so gut wie keinen Ansatzpunkt haben, um der vagen Behauptung der Frau nachzugehen.

Und so beginnen sie, erst einmal mehr über den Ehemann zu erfahren, der bei einer Trinkwasser-Firma im Veneto die Reinheit von Grund-, Fluss- und Quellwasser kontrolliert. Eine andere Informationsquelle könnte die Schwester der Toten sein. Aber alles, was die Polizisten, zu denen sich zwischenzeitlich auch noch Ispettore Vianello gesellt, finden, ist dürftig oder - wie Brunetti meint: Hier passen nicht einmal zwei Teilchen eines Puzzles zusammen.

In der Questura schlägt sich unterdessen Brunettis Chef Patta mit einem Problem herum, das seiner Meinung nach vor allem dem Image der Touristenstadt Venedig schaden könnte: Zwei Roma-Mädchen schlagen sich hier mit Taschendiebstählen durch und beklauten zuletzt auch die Frau des Bürgermeisters. In den Augen des Vize-Questores ein unverzeihliches Delikt, denn er fürchtet schlechte Presse.

Brunetti hingegen schaut auf die politischen und sozialen Hintergründe, was seinen Gemütszustand weiter verdüstert. Das schafft auch der Fall um das verblichene Ehepaar Fadalto-Toso, denn allmählich ist er sich sicher: Der tödlich endende Motorradsturz war kein Unfall. Aber warum? Und was hat es mit dem „schlechten Geld“ auf sich?

Bei Donna Leon geht es nie einfach „nur“ um Mord. Ihre Kriminalfälle dringen stets in die Politik ein, in korrupte Machenschaften, in schmutzige Geschäfte im Hintergrund, die weitere und oft noch schwerere Verbrechen nach sich ziehen und die nicht zuletzt auch mehr dem Image der schönen, aber äußerst bedrohten Stadt am Lido schaden als ein paar Kinder, die auf ihre Art zu überleben versuchen.

Vor allem aber geht es auch in diesem Roman um Rache, Vergebung und Gerechtigkeit, worüber sich selbst Brunetti oft unsicher ist und sich sogar zwischen seinen antiken Klassikern hin und her gerissen fühlt. Letztendlich wird er hinter das Rätsel kommen, dabei aber seinen eigenen Weg gehen - nicht ganz ohne Resignation.

Diese Romane der 1942 in New Jersey geborenen Leon haben etwas an sich, das vielen Krimis fehlt: Es geht streng genommen nicht um einen Fall, der von einem toughen Ermittler gelöst wird, und danach ist alles wieder gut. Vielmehr geht es um eine gesellschaftliche Entwicklung, die nicht auf Venedig, Italien oder Europa beschränkt ist, sondern globale Dimensionen hat: nämlich um einen auf Macht und Geld ausgerichteten Werteverfall.

Vielleicht sollte man „Geheime Quellen“ so lesen, wie es Brunetti von sich fordert, als er sich mit Aischylos beschäftigt: „Diesmal las er die 'Orestie' nicht mit dem Drang, schnell das Ende zu erreichen (...). Herausfinden, was geschehen war, nur die Auflösung im Sinn, wissen, was die Figuren für ein Ende nehmen. Stattdessen versuchte er, jede einzelne Zeile auszukosten (...) .“

Donna Leon: Geheime Quellen, Diogenes Verlag, Zürich, 320 S., 24,00 Euro, ISBN 978-3-2570-07099-6