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Pandemie? Welche Pandemie? Schöne, coronafreie Fernsehwelt

Medien

Dienstag, 7. Juli 2020 - 08:42 Uhr

von dpa

Eine Szene aus der ARD-Telenovela „Rote Rosen“. Foto: Nicole Manthey/ARD/dpa

München (dpa) - Seit Monaten ist die Corona-Krise das vorherrschende Thema nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. In Fernsehserien ist davon bislang aber nicht viel zu merken. „GZSZ“, „Sturm der Liebe“ und Co. haben eine sehr konsequente Art gefunden, mit der Pandemie umzugehen.

In der Realität tobt das Virus, doch auf dem Fernsehbildschirm herrscht eine coronafreie Welt: Bekannte deutsche Serien wollen die Corona-Krise bis auf Weiteres konsequent ignorieren, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab.

Das gilt für die „Rosenheim-Cops“ in Bayern ebenso wie das „Großstadtrevier“ im hohen Norden, für „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) und „Sturm der Liebe“ ebenso wie für „Berlin - Tag & Nacht“. „Inhaltlich thematisieren wir Corona aktuell nicht“, teilt eine Sprecherin der Ufa auf Anfrage mit. Die Ufa produziert beispielsweise die Seifenopern-Dauerbrenner „Unter Uns“ und eben „GZSZ“, wo gerade um Serienfigur Alexander getrauert wird - mit viel Abstand und ohne tröstende Umarmungen.

Ein Einzelfall ist das nicht - ganz im Gegenteil. Alle angefragten Serien wollen genau so verfahren: Pandemie? Welche Pandemie? Die Geschäftsführung von „Studio Hamburg“, das den Hamburger Klassiker „Großstadtrevier“ und die Telenovela „Rote Rosen“ produziert, teilt mit, „dass die Covid-19-Pandemie keine Rolle in den Drehbüchern und Geschichten spielen wird“ - und nennt auch Gründe dafür: „Erstens verhalten sich Zuschauer eskapistisch und wollen in fiktionalen Formaten nicht mit der Realität konfrontiert werden“, heißt es dort. „Zweitens sind Serien repertoirefähig, das heißt, sie werden als Wiederholungen auf anderen Sendeplätzen auch noch in einigen Jahren eingesetzt werden, wenn es – hoffentlich - kein Corona mehr gibt.“

Auf die Dreharbeiten hat Corona zwar große Auswirkungen. Strenge Hygienepläne wurden ausgearbeitet, es muss viel Abstand geben zwischen den Schauspielern. Bei den „Rosenheim-Cops“ wurde sogar das Set umgebaut. Und bei einigen Serien finden die Proben mit Masken statt. Doch gedreht wird dann ohne. In der fertigen Folge soll man die Masken, die in der Realität inzwischen das Stadtbild prägen, nicht sehen.

„Wir haben uns bewusst entschieden, unserem Publikum eine halbe Stunde Auszeit vom Thema Corona zu bieten und greifen dieses deshalb in "Dahoam is Dahoam" inhaltlich nicht auf“, teilt der Bayerische Rundfunk auf Anfrage zu seiner Erfolgs-Seifenoper mit. „Viele positive Reaktionen von Zuschauerinnen und Zuschauern im Netz bestärken uns in dieser Entscheidung.“

RTLzwei führt vor allem ganz praktische Gründe an, warum das Virus auch in „Berlin - Tag & Nacht“ oder „Köln 50667“, Sendungen, die sich als „Reality-Soaps“ verstehen, keine Rolle spielen wird: Bei Produktionsvorläufen von bis zu acht Wochen sei das schlicht nicht möglich. Vom Tisch sei das Thema damit aber nicht, betont ein Sprecher. „So unterstützen wir mit "Köln 50667" beispielsweise das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege bei der Aufklärung zur Corona-Pandemie. Abseits des Serieninhaltes, aber sehr wohl auf allen relevanten Plattformen und mit großem Erfolg.“

Bavaria Fiction, die „Die Rosenheim-Cops“ und „Sturm der Liebe“ produzieren, teilen mit: „Eine Pandemie passt inhaltlich nicht zur Ausrichtung der beiden Serien.“ Darum finde Corona dort nicht statt. „"Sturm der Liebe" ist ein modern erzähltes Märchen; "Die Rosenheim-Cops" legen mit Witz und Charme vor der malerischen Kulisse des Alpenvorlandes den Bösewichtern das Handwerk.“ In beiden Serien sollen „die Zuschauer bewusst vom Alltag abschalten und in eine fiktionale Welt eintauchen, die Sorgen und Nöte der realen Welt bleiben außen vor“.

„Das zentrale Konsumentenbedürfnis, das viele Fiction-Serien adressieren, ist das des Eskapismus: Die Zuschauen wollen flüchten aus ihrer realen Welt mit allen nervigen Details und Beschränkungen“, sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Insofern hätten die Serienmacher mit ihrem Vorgehen wahrscheinlich Recht, so der Forscher. Ganz risikofrei sei das aber nicht. „Wir merken, dass soziale Distanz und Masken zunehmend zu einem Teil unseres Alltags werden, so dass fiktionale Angebote aufpassen müssen, dass sie nicht von den Zuschauern als unrealistisch gesehen werden.“

Bei den Serien „Um Himmels Willen“, „Der Bergdoktor“ und „Die Bergretter“, die alle von der Firma ndf produziert werden, waren die Drehbücher schlicht schon fertig und damit war kein Platz mehr für Corona, wie Geschäftsführer Matthias Walther sagt. Ob die Geschichten auch künftig coronafrei bleiben sollen, lässt er offen. „Vielleicht wird das Ganze eines Tages ein Thema, das hängt sicher von der weiteren Entwicklung dieser Pandemie ab.“

Die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan K. Bleicher sieht eine fehlende Flexibilität, die strukturbedingt ist: „Serien schaffen ja geschlossene fiktionale Erzählwelten, in denen Bezüge zu aktuellen Ereignissen wenig Platz haben. Auch die langfristige Produktion erschwert es, kurzfristig auf Phänomene wie Corona reagieren zu können“, sagt sie. „Die einzige deutsche Langzeitserie, die regelmäßig auf gesellschaftliche Entwicklungen reagierte, war die "Lindenstraße".“

© dpa-infocom, dpa:200707-99-698090/3

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