IG BCE will mehr Druck für Ökostrom-Ausbau

IG BCE will mehr Druck für Ökostrom-Ausbau

Michael Vassiliadis ist seit 2009 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Foto: Monika Skolimowska/dpa

Hannover/Berlin (dpa) - Woher soll all der „grüne“ Strom kommen, wenn Atom- und Kohlemeiler vom Netz gehen? Die Gewerkschaft IG BCE sieht große Unsicherheiten, auch außerhalb der Energiebranche. An einer CO2-ärmeren Zukunft führe kein Weg vorbei - doch beim nötigen Tempo hake es dramatisch.

Wirtschaft und Politik müssen den Schwung der Klimadebatte aus Sicht der Gewerkschaft IG BCE nutzen, um die Energiewende in Deutschland entschlossener anzupacken.

Der Umbau der gesamten Industrie sei ein Kraftakt, in dem aber auch große Chancen für die technologische Erneuerung des ganzen Landes steckten, sagte Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis in Hannover. Allerdings gehe es ihm in einigen Bereichen viel zu zögerlich voran.

„Wir stehen inmitten einer Zeitenwende, getrieben durch Digitalisierung, Globalisierung und Klimapolitik“, so Vassiliadis. Er mahnte die Bundesregierung zu einer schlüssigeren Ökostrom-Strategie. Angesichts des Atom- und Kohleausstiegs bleibe nicht viel Zeit, tragfähige Pläne für eine sichere Energieversorgung zu entwickeln: „Ich habe den Eindruck, dass vor allem Abschaltpläne diskutiert werden. Meine Forderung ist, einen Einschaltplan vorzulegen.“ Ohne hinreichend viel Ökostrom gerieten Hunderttausende Jobs in Gefahr.

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie bezog sich damit auch auf den stockenden Ausbau bei erneuerbaren Energien. Vor allem bei der Windkraft an Land erschweren Regulierungen, umstrittene Abstandsregeln für Anlagen und Akzeptanzprobleme eine stärkere Nutzung. „Abschalten ist kein großes Problem - wenn gleichzeitig eingeschaltet wird“, sagte Vassiliadis.

Dass hierzu bei schrittweise wegfallendem Atom- und Kohlestrom die nötigen Konzepte vorlägen, könne er „im Moment noch nicht greifen“. Dabei sei am Kohle-Aus bei den geplanten Hilfen für die betroffenen Regionen nicht mehr zu rütteln: „Ich bin durch mit der Kohle, wenn wir es sozialverträglich hinkriegen.“ In dieser Woche laufen in Berlin weitere Spitzengespräche zum Kohleausstieg.

Für die Klimaaktivisten von Fridays for Future fand Vassiliadis anerkennende Worte. Angesprochen auf seine Haltung zu den jüngsten Protesten etwa gegen Siemens, sagte er: „Fridays for Future ist eine prägende Kraft.“ Etliche Positionen der Bewegung hätten inzwischen nicht nur „emotionale“, sondern auch „faktische Unterstützung“ durch die Wissenschaft erhalten.

Der langfristige Aufbau einer schonenderen Industrie sei inzwischen auch in weiten Teilen der Belegschaften anerkannt, betonte der IG-BCE-Chef. Die Mitarbeiter wünschten sich aber mehr Begleitung durch Wirtschaft und Politik. So sprachen sich in einer Umfrage unter mehr als 17.000 Mitgliedern und Beschäftigten 56 Prozent für ein „aktiveres Angehen“ der Themen Klimaschutz und Digitalisierung aus. Mehr als 63 Prozent erklärten, dass die Unternehmen bei Klimafragen „mehr in die Pflicht genommen werden müssen“. Die Ergebnisse zeigten aber auch, „dass die Unsicherheit groß ist“: Für 42 Prozent bedeute mehr Klimaschutz beispielsweise mehr Risiken für die eigene Branche.

Vassiliadis warb auch für eine bessere Abstimmung von Unternehmen und Politik bei der Verkehrswende. Es gebe mittlerweile ein wahres „Autogipfelwesen“ mit immer weiteren Spitzentreffen - doch in den Belegschaften vor allem der Zulieferer „kommt eher nur der Druck an“. Die Entscheidungsträger müssten klarmachen, dass der Wandel auch Zeit brauche. Mit Blick auf effizientere Verbrennungsmotoren oder weitere alternative Antriebe sagte der IG-BCE-Chef: „Ist Elektromobilität das einzige Feld, wo man hingeht? Ich hoffe, dass man da offen bleibt.“