Wirtschaft fordert Öffnungen - „Stimmung katastrophal“

Berlin (dpa) - Bei vielen Firmen im Lockdown herrscht Verzweiflung und Frust. In manchen Bereichen nimmt die Schwarzarbeit zu. Eine Perspektive erhoffen sich viele von Beratungen am Mittwoch. Die Industrie lenkt den Blick auf den EU-Binnenmarkt. Wirtschaftsverbände fordern angesichts des wochenlangen Lockdowns vehement einen Fahrplan zur Öffnung und warnen vor einer Pleitewelle.

Die Stimmung etwa in der Gastronomie und im Handel wird zunehmend schlechter. „Wir brauchen dringend klare Kriterien, wann und unter welchen Voraussetzungen unsere Betriebe wieder geöffnet werden“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges.

Bund und Länder müssten eine klare Öffnungsperspektive schaffen, forderte auch der Handelsverband Deutschland. Ein Stufenplan für den Weg aus dem Lockdown müsse für den Einzelhandel auch bei Inzidenzwerten über 50 Lockerungsmaßnahmen vorsehen, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Denkbar wären Öffnungen unter noch strengeren Vorgaben für die maximale Kundenzahl oder verschärfte Hygieneregeln.“ Diese können nach Ansicht des Handelsverbands bei weiter sinkenden Corona-Zahlen gelockert werden.

Dabei geht es um die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Der Lockdown mit der Schließung der Gastronomie und vielen Geschäften ist bisher bis Mitte Februar angesetzt. Mehrere Länder haben Stufenpläne vorgelegt oder arbeiten daran. Am Mittwoch beraten Bund und Länder erneut über den Lockdown.

„Stimmung und Lage im Gastgewerbe sind katastrophal“, sagte Hartges. Bei den Betrieben machten sich Verzweiflung und Zukunftsängste breit - 75 Prozent bangten um ihre Existenz. Auch der Handelsverband berichtete von der Verzweiflung vieler Einzelhändler im Lockdown. „Nach wie vor kommt das Geld aus den staatlichen Hilfsprogrammen nicht ausreichend an“, sagte Genth.

Alarm schlagen auch Friseure. „Für die Inhaber der 80.000 Salons ist die wirtschaftliche Situation zum Teil dramatisch“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, Jörg Müller. Die Friseursalons mussten Mitte Dezember schließen.

„Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Pandemiebekämpfung ist die Schwarzarbeit in unserem Handwerk zwischenzeitlich zu einem wohl echten Problem geworden“, sagte Müller. Der Verband betone deshalb mit Nachdruck, dass Friseurdienstleistungen nur in professionellen Salons sicher sein können. Die 240.000 Friseure hofften auf den Re-Start des Friseurhandwerks zum 15. Februar.

Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer forderte ein bundesweites Ampel-System für Corona-Entscheidungen nach regionaler Inzidenz - „damit Betriebe planen können und eine Perspektive erhalten“, sagte er. Ein Öffnungsplan müsse klare Voraussetzungen festlegen, mit denen Betriebe wieder arbeiten können. Außerdem müssten Hilfen deutlich schneller ausgezahlt werden. Bei einem großen Teil der Betriebe sei bisher nicht ein einziger Euro des versprochenen Geldes angekommen.

Der Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe, Wolfgang Ewer, sagte, es müsse nach vielen Monaten des Lockdowns eine Öffnungsstrategie geben, die neben den gesundheitlichen stärker auch wirtschaftliche Perspektiven berücksichtige. „Es steht viel auf dem Spiel und es gibt ernsthafte Sorgen, dass die Krise dauerhafte Schäden hinterlässt, etwa bei der Bildung und der Infrastruktur“, sagte Ewer. Bei den Hilfsprogrammen müsse nachgeschärft werden.

Unterdessen blickt Industriepräsident Siegfried Russwurm mit Sorge auf die Entwicklung der Corona-Lage in Europa. Das europaweit steigende Infektionsgeschehen beunruhige die Industrie zunehmend. „Deutschland ist keine Insel, sondern liegt mitten in Europa. Unsere Industrie ist wie kaum eine andere eng mit grenzüberschreitenden Lieferketten und Mitarbeiterstrukturen verflochten“, sagte Russwurm. Wenn es nicht gelinge, die Pandemieeindämmung europaweit erfolgreich voranzutreiben, sei jeder nationale Erfolg ein Strohfeuer.