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„Reißt die Hütte ab“: Wunderteam feiert Eishockey-Silber

Olympia

Mittwoch, 28. März 2018 - 18:37 Uhr

von Von Carsten Lappe, Kristina Puck und Maximilian Ha

Die Olympischen Athleten aus Russland feiern den ersten Treffer der Partie. Foto: Daniel Karmann

Pyeongchang (dpa) - Das historische Olympia-Finale von Pyeongchang ging dramatisch verloren, doch das Eishockey-Nationalteam hat eine ganze Nation verzückt. Am Ende feierten die Spieler ihre Silbermedaillen wie Gold.

Die stürmische Silberparty von Deutschlands Eishockey-Wunderteam war selbst für US-Skistar Lindsey Vonn unwiderstehlich.

Als die Sensations-Finalisten von Bundestrainer Marco Sturm nach der Olympia-Schlussfeier am Sonntag das extra für sie noch geöffnete Deutsche Haus enterten, war die Trauer über das nur um 55,5 Sekunden verpasste Gold längst verflogen. „Reißt die Hütte ab“, brüllten die Nationalspieler zum Start der letzten großen Sause in Pyeongchang - und die von Verteidiger Yannic Seidenberg eingeladene Alpin-Legende Vonn war immer mittendrin.

Am Tresen zapfte Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, eigenhändig das Bier für die neuen Sportlieblinge der Nation. „Das ist eine unfassbare Geschichte für uns alle. Für uns ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen“, sagte Torwartheld Danny aus den Birken, ehe er wieder in der tosenden Jubeltraube seiner Teamkollegen verschwand. „So sehen Sieger aus“, tönte immer wieder durch die Räume des sonst so gesitteten Birch Hill Golf Clubs. Immer wieder spritzte das Silberteam mit Bier und Champagner. Fast schon vergessen war das unglückliche 3:4 (0:1, 1:0, 2:2) nach Verlängerung im Finalkrimi gegen die Stars der Olympischen Athleten aus Russland.

Auch für Stürmer Patrick Reimer, der Lindsey Vonn bei der Sause ein Originaltrikot schenkte, gab es nun kein Halten mehr. Kurz nach dem Endspiel war er noch besonders geknickt. Während einer Strafzeit gegen den Nürnberger schossen die Russen in der Verlängerung das Siegtor durch Kirill Kaprisow in der 10. Minute der Overtime. Der große Goldfavorit hatte gegen ein bravourös kämpfendes Team erst 55,5 Sekunden vor dem Ende ausgeglichen. „Hat Ihnen schon mal jemand ins Herz gestochen? So fühlt sich das an“, sagte der starke Goalie aus den Birken.

Doch nach einer langen Ansprache von Coach Sturm trockneten allmählich die Tränen der deutschen Spieler, die die Russen nach Toren von Felix Schütz (30.), Dominik Kahun (54.) und Jonas Müller (57.) beinahe in die Knie gezwungen hätten. „Ganz Deutschland ist stolz auf uns“, meinte aus den Birken über den grandiosen Erfolg, der nach 42 Jahren endgültig Olympia-Bronze von 1976 verblassen lässt.

„Wir lassen uns jetzt auch 40 Jahre lang feiern. Vielleicht hat ja Hollywood Lust, einen Film über uns zu machen. Ich möchte nur, dass Brad Pitt mich dann spielt“, witzelte der zum besten Olympia-Keeper benannte aus den Birken. „Yannic Seidenberg stand neben mir und hat gesagt: 'Das ist ein Bild, auf das schauen wir ein Leben lang zurück'. Da will ich nicht mit irgendeiner Grimasse dastehen, sondern mit lachendem Gesicht“, sagte Reimer (35). „Wir haben es uns verdient, dass wir lachen können. Wir können mehr als stolz sein.“

Zunächst ging es für die Silbergewinner weiter zur Schlussfeier, auf der Abwehr-Ass Christian Ehrhoff stellvertretend für das gesamte Team die deutsche Fahne trug. Die Medaillen hingen um den Hals, David Wolf trug Yannic Seidenberg beim Einmarsch ins Olympiastadion auf seinen Schultern. „Wir sind nicht nur als eine Mannschaft zusammengewachsen. Ich denke auch, ganz Deutschland ist zusammengewachsen. Das werden wir als eine Mannschaft auch nicht vergessen“, sagte der ergriffene Bundestrainer Sturm. Seit der Ankunft am 8. Februar in Südkorea entwickelte sich aus einem von der Fachwelt und Öffentlichkeit belächelten Außenseiter ein Team, das zusammenwuchs, sich steigerte und die großen Nationen das Fürchten lehrte.

Selbst der russische Super-Stürmer Pawel Dazjuk war beeindruckt. „Ich bin sehr überrascht, sie haben sehr gut gespielt. Sie waren besonders läuferisch gut, sie haben gut verteidigt, sie haben ein gutes System, eine gute Organisation“, sagte der frühere NHL-Star. „Je länger das Turnier ging, desto mehr haben wir dran geglaubt. Ich denke, wir haben hier Großes geleistet“, sagte Kapitän Goc (34).

„Dieses Turnier und diese Mannschaft werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, sagte Sturm. „Das gab es noch nie und wird es nicht so schnell wieder geben“, sagte DEB-Präsident Franz Reindl, der 1976 beim Bronze-Gewinn von Innsbruck selbst auf dem Eis gestanden hatte. Dies ist nun endgültig Geschichte. „Man kann das noch nicht richtig realisieren. Aber eine Eishockey-Nationalmannschaft hat ein ganzes Land sportlich begeistert, die Zuschauer elektrisiert“, sagte Reindl.

Unmittelbar mit Spielschluss gingen permanent Glückwünsche aus der Heimat ein. „Ihr seid Helden! Feiert die Silbermedaille!“, twitterte Fußball-Nationalspieler und Eishockey-Fan Thomas Müller. „Absolute Inspiration für Wille, Kampfgeist und Zusammenhalt! Danke!“, schrieb Golf-Profi Martin Kaymer, und Fußball-Weltmeister Lukas Podolski lobte: „Aber ihr habt viele neue Eishockey Fans dazugewonnen und ganz Deutschland hinter euch gebracht. Ihr habt unser Land und Eishockey super präsentiert. Danke für diese geile Zeit!“

Auch die Nationalspieler aus der NHL, die wegen des Olympia-Boykotts der besten Liga der Welt nicht mithelfen konnten, fieberten mit. „Jungs ihr wart Weltklasse. Könnt unglaublich Stolz auf euch sein“, twitterte Stanley-Cup-Sieger Tom Kühnhackl, und Abwehrspieler Korbinian Holzer meinte: „So unglaublich stolz auf diese Jungs. We’ll be back.“ Genau darauf setzen nun auch Reindl und Sturm.

Der sensationelle Gewinn der Silbermedaille soll nun einen Boom begründen. Nach dem Fußball ist Eishockey zwar nach Zuschauerzahlen immer noch die populärste Mannschaftssportart in Deutschland, hatte es in der Öffentlichkeit auch wegen ausbleibender Erfolge aber zunehmend schwerer. „Ich hoffe, dass es dem deutschen Eishockey einen Push nach vorne gibt. Jeder zu Hause war aufgeregt, ganz viele haben geschaut. Da sind wir natürlich stolz, dass wir ein Land so mitziehen konnten“, sagte auch Sympathieträger Ehrhoff.

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