Nachbarn in der Corona-Krise unterstützen

Von Von Vera Kraft, dpa
Nachbarn in der Corona-Krise unterstützen

Eine Nachricht im Hausflur oder ein Brief an die Nachbarn: Es gibt viele Wege Kontakt aufzunehmen und Hilfe anzubieten. Foto: Benjamin Nolte/dpa-tmn

Berlin/Lüneburg (dpa/tmn) - Erste Lockerungen gibt es. Doch das Nähebedürfnis der Menschen während der Pandemie ist sehr unterschiedlich. Wie funktioniert Nachbarschaftshilfe auf Distanz? Wie bietet man anderen Hilfe an? Wer selbst schon einmal in Quarantäne musste, war sicher erleichtert, wenn Nachbarn die Einkäufe übernehmen konnten. Im Lockdown gab es zahlreiche solcher Hilfsangebote. „Gerade in der Anfangsphase, der Phase der großen Unsicherheit, gab es ein großes Bedürfnis nach Zusammenhalt“, sagt Psychologe Prof. Roman Trötschel.

Nach mehr als einem Jahr Pandemie haben viele Menschen gemerkt, es geht nicht nur um praktische Erledigungen - manchmal braucht man einfach jemanden zum Reden. Doch wie kann man füreinander da sein, wenn man eigentlich Distanz wahren soll? Ein besonders beliebter Weg ist es, sich online zu vernetzen. Dank Internetplattformen wie nebenan.de geht das auch lokal in der eigenen Nachbarschaft.

Ina Remmers, Mitgründerin des Portals hat beobachtet, dass die Bedeutung von Nachbarschaft für viele in der Krise zugenommen hat. „Während des ersten Lockdowns hatten wir täglich fünfmal mehr Anmeldungen als normalerweise“, sagt sie.

Für Remmers gibt es zwei Arten von Nachbarschaftskontakt: Einmal die Nachbarschaftshilfe und dann die Gemeinschaft. Die praktische Unterstützung sei weiterhin möglich gewesen. Doch viele Initiativen wie gemeinsame Spieleabende oder Stammtische seien mit den Kontaktbeschränkungen nicht vereinbar. Ein Wort war die vergangenen Monaten auf der Plattform besonders präsent gewesen: Einsamkeit.

Kontakt aufbauen

„Soziale Kontakte sind für uns überlebenswichtig“, sagt Psychologin Eva Asselmann. Wenn wir zu lange isoliert seien, könne sich das nicht nur negativ auf die Stimmung, sondern auch auf die Gesundheit auswirken. Statt sich im Vorbeigehen nur zuzunicken, empfiehlt sie, ein kurzes Gespräch mit den Nachbarn zu suchen.

Besonders wenn jemand alleine wohnt und womöglich Unterstützung braucht, empfiehlt Asselmann aktiv auf die Menschen zuzugehen. Wer nicht direkt fragen möchte, ob ein Nachbar Hilfe benötigt, kann das Gespräch zunächst mit einem unverfänglichen Anlass beginnen.

„Es ist oft eine Herausforderung, fremde Menschen anzusprechen“, sagt Asselmann. Doch es lohne sich über den eigenen Schatten zu springen. Denn wer jemandem hilft, tut nicht nur anderen einen Gefallen, sondern kann dadurch auch sein eigenes Wohlbefinden erhöhen. Allerdings: „Man darf nicht erwarten, dass man sofort ins Schwarze trifft.“ Wenn die andere Person das Angebot ablehne, sei das zu respektieren.

Großer Bedarf, große Scheu?

Monika Thoma bekommt täglich Anrufe von Menschen, die Hilfe für sich oder für Angehörige brauchen. Die Anfragen haben seit der Corona-Krise stark zugenommen, sagt die 65-Jährige, die den Ökumenischen Besuchsdienst sowie die Nachbarschaftshilfe der Keppler-Stiftung am Eselsberg in Ulm leitet.

Thoma und ihr Team begleiten Menschen zu Arztterminen, gehen für sie einkaufen oder mit ihnen spazieren. Hausbesuche macht Thoma nur noch in Härtefällen und dann stets mit Maske und Lüften. „Der Bedarf ist da“, sagt sie. „Aber viele Menschen trauen sich nicht, sich an uns oder an Nachbarn zu wenden.“

Remmers empfiehlt hilfsbereiten und kontaktfreudigen Menschen, ihren Nachbarn symbolisch die Türe zu öffnen, zum Beispiel indem man ein Stück Kuchen vorbeibringt. So könne man Schritt für Schritt aufeinander zugehen.

Kreativität gegen Einsamkeit

„Wichtig ist, sich klarzuwerden, was man selbst möchte“, sagt Psychologe Trötschel. Nur so könne man Bedürfnisse kommunizieren und werde nicht überrollt. Hat das Gegenüber andere Ideen für ein soziales Miteinander, sei das legitim und muss akzeptiert werden.

Möchte die eine Person etwa für ein Gespräch in die Wohnung kommen, dem anderen ist das pandemiebedingt aber noch zu riskant, lässt sich hier die Schnittstelle „gemeinsame Zeit“ finden: Beide könnten als Kompromiss draußen bei einem Spaziergang reden. „Es gibt immer noch zahlreiche Möglichkeiten, Kontakt aufzunehmen“, sagt Thoma von der Nachbarschaftshilfe. Man könne Grüße in den Briefkasten werfen oder sich telefonisch melden.

Selbst manche Gemeinschaftsaktivitäten seien machbar, sagt Remmers. In einigen Nachbarschaften werde etwa der Frühjahrsputz in Form von einer gemeinsamen Müllsammel-Aktion nach draußen verlegt, oder es finden Karaoke-Abende auf dem Balkon statt.

Wie viel Interaktion man mit seinen Nachbarn möchte, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. „Manche Menschen brauchen wenige, aber tiefe Kontakte. Andere suchen viele eher oberflächliche Begegnungen“, erklärt Prof. Trötschel. An all jene, die Unterstützung oder ein offenes Ohr brauchen, appelliert Einsatzleiterin Thoma, sich an entsprechende Hilfsorganisationen oder eben die Nachbarn zu wenden.