Beruf und Bildung

Präparatorin zieht den Tieren die Haut über die Ohren

Berufe

Donnerstag, 28. Juli 2022 - 14:22 Uhr

von dpa

Corinna Seifert, Auszubildende im Bereich Präparation im Naturkundemuseum Erfurt, arbeitet in der Werkstatt an einer Ratte. Foto: Martin Schutt/dpa

Erfurt (dpa/th) - Erst wird die Bauchdecke aufgeschnitten. Von hier wird nach und nach mit bedachten und ruhigen Schnitten die Haut abgelöst. Vom Bauch, über die Beine - die am Knie durchtrennt werden - bis zum Kopf. Fleisch- und Fettreste werden sorgsam entfernt.

Letztlich werden Haut und Haar der Ratte in einem Stück vom Körper gezogen, übergestülpt. Noch bevor der Tierkadaver komplett bloßgelegt ist, liegt ein süßlicher Geruch in der Luft. Erst nur leicht wahrnehmbar, nach und nach immer deutlicher zu riechen. Der Geruch lässt Corinna Seifert kalt, er ist Teil ihres Jobs.

„Ich find', man gewöhnt sich tatsächlich dran“, sagt die 25-jährige Auszubildende im Bereich Präparation im Naturkundemuseum Erfurt. Seit einem Jahr wird sie von Präparator Ralf Nowak in Arbeitsweisen und Präparationstechniken eingewiesen. In ihrer insgesamt dreijährigen Lehre lernt Seifert, Präparate für Ausstellungen sowie Bälge für die wissenschaftliche Arbeit anzufertigen. Ein Balg ist abgezogene Tierhaut mit Fell oder Federn.

Vom Vögelchen bis zum Bison kann alles dabei sein. Und dabei ist Seifert für den Arbeitsprozess vom toten Tier bis zum fertigen Präparat verantwortlich: Vermessen, Haut abziehen, nachbilden und die Haut wieder überziehen.

2024 soll sie den 64-jährigen Nowak, der dann in Ruhestand gehen will, komplett ablösen. Bis dahin ist einiges zu tun. „Ich fang klein an“, sagt die gebürtige Leipzigerin mit Blick auf die Ratte auf ihrem Schreibtisch. „Und irgendwann kann ich dann auch größer werden.“ Blickt man durch ihre Vogelpräparate, die am Kopfe des Tisches stehen, in die andere Hälfte des Raums, sieht man, was sie meint. Dort arbeitet Nowak aktuell an der Nachbildung eines Zwerg-Flusspferds.

Das Tier aus einem Zoo im tschechischen Pilsen lag mehrere Jahre im Kühlhaus, bevor der Präparator sich ihm zuwenden konnte. Weder das Auftauen noch die Bearbeitung in der Gerberei haben der Haut gutgetan. „Wenn ich die jetzt so komplett aufziehe, dann sieht sie so glatt aus wie eine Badekappe.“ Daher versucht Nowak, an den Beinen des Körpers aus Styrodur und Bauschaum eine originalgetreue Nachbildung jeder kleinen Falte, jedes Muskels zu schaffen.

„Man sagt ja heute noch, die Tiere werden ausgestopft. Aber das stimmt nicht“, klärt der Vorsitzende des Verbands Deutscher Präparatoren, Frank-Michael Weigner, auf. Wurden die Häute früher noch mit Stroh gefüllt, werden heute vor allem Kunststoffe für die Dermoplastiken genutzt. 3-D-Technik und Kunststoffe - der Jahrhunderte alte Beruf sei im ständigen Wandel.

Der Verband ist die einzige Berufsvertretung in Deutschland und zählt rund 450 Mitglieder. Etwa 250 davon sind laut Weigner wie Nowak und Seifert im zoologischen Kontext und in Museen zu verorten. Insgesamt geht er von rund 2000 Präparatoren und Präparatorinnen in Deutschland aus. Genaue Zahlen gibt es nicht. Nachwuchs wie Seifert zu finden, ist ein Problem. „Ganz, ganz langsam ist eine gewisse Überalterung schon zu merken“, sagt Weigner. „Es gehen mehr, als dazu kommen.“

In Deutschland beginnen jedes Jahr insgesamt 30 Schülerinnen und Schüler an der Berufsfachschule in Bochum eine Ausbildung zur staatlich geprüften Präparationstechnischen Assistenz. Die Berufsfachschule in Bochum ist die einzige Ausbildungsstätte für diese Berufe in Deutschland.

Seifert besucht die Berufsschule für Chemie, Grafik und gestaltende Berufe (CGG) in Wien. Im Winter wird sie für das nächste Blockseminar dort sein. Bis dahin arbeitet sie weiter mit Nowak in ihrem Raum im Naturkundemuseum. Sechs Jahre und viele Praktika lang hat sie darauf gewartet, als Präparatorin in einem Museum durchstarten zu können. Dass es am Ende so nah an ihrer Heimat Leipzig, in Erfurt klappt, war Glück. Da mache ihr „das bisschen Pendeln nach Wien“ auch nichts aus.

Doch das Reisen hat auch Nachteile: Solange sie für Blockseminare von Erfurt nach Wien pendelt, bleibt ein eigenes Tier für sie eine Zukunftsvision. Dabei sind ihr die lebenden noch viel lieber als tote Tiere. „Man muss Tiere mögen, um diesen Job machen zu können“, sagt sie. „Da gehört schon ein bisschen Leidenschaft dazu.“ Nur wer Tiere aufmerksam beobachtet, kann sie laut Seifert nach dem Tod so lebendig und originalgetreu wie möglich darstellen. Ein eigenes Tier sieht sie als Gewinn für sich und auch ihren Job an.

Die reagieren aber, anders als die Nachwuchs-Präparatorin, sehr wohl auf den Geruch toter Tiere. „Ich bin hin und wieder mal in Arbeitsklamotten in der Stadt unterwegs gewesen, also auf dem Weg nach Hause. Und dann dreht sich wirklich jeder Hund um.“

© dpa-infocom, dpa:220728-99-187366/2

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