Deutsche Schwimm-WG in San Diego: In einem Jahr umziehen

Von Von Maximilian Haupt, dpa
Deutsche Schwimm-WG in San Diego: In einem Jahr umziehen

Marius Kusch steht in einem privaten Pool in San Diego. Dort kann seine Gruppe derzeit trainieren. Foto: Maximilian Haupt/dpa

San Diego (dpa) - Eine Weltklasse-Trainingsgruppe, dazu oft Sonne und das Meer: Die Mischung für Marius Kusch und Jacob Heidtmann klingt verlockend. Ist sie auch - und teuer. Für die beiden deutschen Schwimmer ist die Verschiebung von Olympia daher mehrfach eine große Herausforderung.

Marius Kusch muss kurz nachfragen und telefonieren. Die Abdeckung des privaten Pools im Garten dieser millionenschweren Villa in dem strandnahen Viertel San Diegos öffnet der Kurzbahn-Europameister über 100 Meter Schmetterling normalerweise nicht alleine.

Aber was ist schon normal in einer Zeit, in der Corona nicht nur den Traum von Olympia in diesem Sommer zerstört, sondern Sportlern auf der ganzen Welt seit Monaten den gewohnten Zugang zu Hallen und Krafträumen genommen hat? In der ein nur wegen guter Kontakte verfügbares, zwei Meter zu kurzes Becken für den Top-Schwimmer die bestmögliche Trainingsgelegenheit darstellt - und in der sein Mitbewohner Jacob Heidtmann tausende Kilometer entfernt in Hamburg in Quarantäne sitzt?

Heidtmanns Visum muss verlängert werden, also ging es jüngst aus der Trainingsheimat Kalifornien inmitten der Pandemie zurück nach Deutschland. Bis zum 4. Juni muss der 25-Jährige noch im Haus seiner Eltern ausharren und sich mit Getränkekisten, ein paar Gewichten seines Bruders und einem Boxsack im Keller behelfen. Schon nach drei Tagen „habe ich angeboten, die Fenster zu putzen“, erzählt der Olympia-Teilnehmer von 2016. Als der 400-Meter-Lagen-Spezialist über die zähen Quarantäne-Tage berichtet, ist er auf dem Handy seines Mitbewohners zu sehen - Videotelefonie hält die beiden wie so viele andere Menschen derzeit in Verbindung und auf dem neuesten Stand.

„Wir gehören nicht zu den Leuten, die den Kopf in den Sand stecken und gar nichts machen. So sind wir nicht, das war nicht die Einstellung“, sagt der 27 Jahre alte Kusch. Damit passen beide gut in die USA, wo „niemals aufgeben“ und „alles ist möglich“ in irgendeiner Variante ganz sicher in den Umkleidekabinen und Krafträumen steht.

Und so ein bisschen färbt diese Mentalität wohl auch ab, wenn man zusammen mit anderen Weltklasse-Schwimmern bei David Marsh trainiert, dessen Schützlinge über die Jahre 46 Olympia-Medaillen abgeräumt haben, darunter auch die sechs goldenen von Ryan Lochte. „Der ist so ne Art Yoda“, sagt Kusch über den Mann, den er während des Studiums in North Carolina kennengelernt hat und dem er seither folgt. „Ich sehe, dass ich noch gewaltige Sprünge mache und noch nicht auf dem Zenit bin.“

Der deutsche Teamcoach Hannes Vitense bestätigt die positive Entwicklung von Kusch und Heidtmann. „Die im Frühjahr 2020 erbrachten Normzeiten haben gezeigt, dass ihre individuellen Wege zielführend waren“, sagt er. Kusch betont: „Ich könnte mit meinem Gewissen nicht vereinbaren jetzt aufzuhören und nicht zu wissen, was möglich gewesen wäre.“

Klar, die Tage nach der Olympia-Verschiebung waren erst einmal hart, zumal die Tokio-Qualifikation gerade erst geschafft war: Schließlich kostet das Leben in einem der teuersten Bundesstaaten der USA viel Geld, etwa 2000 bis 3000 Euro pro Person rechnen Kusch und Heidtmann monatlich für Miete, Essen und das Honorar für die Trainer. Und auch die Entscheidung, ein weiteres Jahr alles dem großen Ziel unterzuordnen und die Lebensplanung daran anzupassen, war nicht einfach. „Das knallt schon ganz schön rein“, sagt Heidtmann.

Die beiden jungen Männer müssen ohnehin an ihr Erspartes, um sich alles leisten zu können. Corona trifft sie deswegen wie viele andere finanziell hart. „Der Großteil unseres Geldes kommt über Preisgelder. Mit Schwimmen gibt es in diesem Jahr kaum noch Möglichkeiten, Geld zu verdienen“, sagt Kusch. Längst gibt es den Gedanken, sobald es die Pandemie zulässt, über privates Schwimmtraining ein paar Einnahmen zu organisieren.

Inzwischen geht der Blick ohnehin nach vorne. Heidtmann arbeitet neben dem neuen Visum auch daran seinen Status als Sportsoldat bei der Bundeswehr zu verlängern, und so etwas mehr finanzielle Sicherheit zu bekommen. „Jacob ist sehr, sehr, sehr tough. Es ist schwer, ihn klein zu kriegen“, sagt Kusch über seinen Freund, dessen Willenskraft im Becken ihm auch in der aktuellen Lage zugute kommt.

Und Kusch selbst geht neben den freiwilligen Einheiten auf dem Surfbrett im Pazifik eben jeden zweiten Tag in jenen Pool im Garten der Villa. Bekannte von Coach Marsh leben dort und haben dem Trainer und seinem „Team Elite Aquatics“ erlaubt, das einst für die ambitionierte Tochter gebaute Becken zu nutzen. „Ich bin ein Macher. Das ist meine größte Stärke“, sagt Kusch. Corona nervt, klar. Aufhalten soll es ihn nicht auf dem Weg zu Olympia. Und auch nicht Jacob Heidtmann. Damit die deutsche Schwimm-WG aus San Diego in gut einem Jahr nach Tokio umziehen kann.